Ein milder Winter
121 Wie der Winter begonnen hatte, so blieb er auch: schneereich und mild. Das Eis vor der Schleuse, am Wehr und im Mühlgraben machte den Burschen wenig zu schaffen in diesem Jahr. Rasch war es weggepickelt, und manchmal fror eine halbe Woche lang nichts mehr nach. Dafür schneite es oft und reichlich – zum Kummer des neuen Lehrjungen, der mit Schneeräumen kaum noch nachkam. Wenn Krabat sich diesen Witko betrachtete – dürr, wie er war, und rotznasig –, wurde ihm klar, dass wohl stimmen musste, was Michal gesagt hatte von den drei Jahren, um die er inzwischen älter geworden war – und dass er es eigentlich längst hätte merken müssen, von selber: an seiner Stimme, an seinem Körper, an seinen Kräften und weil ihm seit Anfang des Winters um Kinn und Wangen ein leichter Flaum spross, nicht weiter ins Auge fallend, und doch, wenn man mit den Fingern darüber hinstrich, deutlich zu spüren. An Tonda dachte er immer wieder in diesen Wochen, er fehlte ihm überall, und es schmerzte ihn, dass er sein Grab nicht besuchen konnte. Er hatte es zweimal versucht und war beide Male nicht weit gekommen: es lag zu viel Schnee im Koselbruch, darin war er stecken geblieben, nach wenigen hundert Schritten schon. Trotzdem blieb er entschlossen, bei nächster Gelegenheit einen dritten Versuch zu wagen – da kam ihm ein Traum zuvor.
122 Es ist Frühling, der Schnee ist dahingeschmolzen, (растаял и утек) der Wind hat ihn auf getilgt. (уничтожил, стер его) Krabat geht durch den Koselbruch, es ist Nacht und Tag. Der Mond (луна) steht am Himmel, die Sonne (солнце) scheint. Bald muss Krabat beim Wüsten Plan sein – da sieht er im Nebel (в тумане) eine Gestalt (фигура, образ) auf sich zukommen. (подходит к нему) Nein, sie entfernt sich. (удаляется) Er glaubt, dass es Tonda ist. «Tonda!» ruft er, «bleib stehen! (стой!) Ich bin es – Krabat!» Es ist ihm, als zögere (как будто бы медлит) die Gestalt einen Augenblick. Wie er dann weitergeht, (когда он подходит) setzt auch sie ihren Weg fort. (она уходит: «продолжает свой путь») «Bleib stehen, Tonda!» Krabat beginnt zu laufen. Er rennt was er kann. (бежит что есть сил) Der Abstand verringert sich (расстояние между ними уменьшается). «Tonda!» ruft er. Nun ist er auf wenige Schritte herangekommen (приблизился) – da steht er vor einem Graben. (перед канавой) Der Graben ist breit und tief, kein Steg führt hinüber, (ни мостика через нее) kein Balken (ни бревна) liegt in der Nähe, auf dem er ihn überqueren (пересечь) könnte. Drüben (по ту сторону) steht Tonda, er kehrt ihm den Rücken zu. (повернувшись спиной)»Warum fliehst du mich, (убегаешь от меня) Tonda?» «Ich fliehe dich nicht. Du musst wissen, dass ich am anderen Ufer bin (на другом берегу). Bleib du auf deinem.» (оставайся на своем) «Wende mir wenigstens das Gesicht zu!» (хотя бы взгляни на меня: «повернись лицом») «Ich kann nicht zurückblicken, (оглянуться) Krabat, ich darf es nicht. (мне нельзя) Doch ich höre und werde dir antworten, dreimal im ganzen. (на три вопроса в целом = всего) Nun frage mich, was zu fragen ist.» (что нужно спросить) Was ist zu fragen? Krabat braucht nicht darüber nachzudenken. (не раздумывает) «Wer, Tonda, hat deinen Tod verschuldet?» (кто виновен в твоей смерти) «Am meisten (больше всего) ich selbst.» «Und wer noch?» «Du wirst es erfahren, (узнаешь) Krabat, wenn du die Augen offenhältst. (если откроешь глаза, будешь держать глаза открытыми) Nun die letzte Frage.» Krabat besinnt sich. (призадумывается) Es gäbe noch viel, (как будто бы было много всего) was er wissen möchte... «Ich bin sehr allein», (мне очень одиноко) sagt er. «Seit du weg bist, habe ich keinen Freund mehr. Wem kann ich mich anvertrauen, (довериться) was rätst (посоветуешь) du mir?»
122 Es ist Frühling, der Schnee ist dahingeschmolzen, der Wind hat ihn auf getilgt. Krabat geht durch den Koselbruch, es ist Nacht und Tag. Der Mond steht am Himmel, die Sonne scheint. Bald muss Krabat beim Wüsten Plan sein – da sieht er im Nebel eine Gestalt auf sich zukommen. Nein, sie entfernt sich. Er glaubt, dass es Tonda ist. «Tonda!» ruft er, «bleib stehen! Ich bin es – Krabat!» Es ist ihm, als zögere die Gestalt einen Augenblick. Wie er dann weitergeht, setzt auch sie ihren Weg fort. «Bleib stehen, Tonda!» Krabat beginnt zu laufen. Er rennt was er kann. Der Abstand verringert sich. «Tonda!» ruft er. Nun ist er auf wenige Schritte herangekommen – da steht er vor einem Graben. Der Graben ist breit und tief, kein Steg führt hinüber, kein Balken liegt in der Nähe, auf dem er ihn überqueren könnte. Drüben steht Tonda, er kehrt ihm den Rücken zu. «Warum fliehst du mich, Tonda?» «Ich fliehe dich nicht. Du musst wissen, dass ich am anderen Ufer bin. Bleib du auf deinem.» «Wende mir wenigstens das Gesicht zu!» «Ich kann nicht zurückblicken, Krabat, ich darf es nicht. Doch ich höre und werde dir antworten, dreimal im ganzen. Nun frage mich, was zu fragen ist.» Was ist zu fragen? Krabat braucht nicht darüber nachzudenken. «Wer, Tonda, hat deinen Tod verschuldet?» «Am meisten ich selbst.» «Und wer noch?» «Du wirst es erfahren, Krabat, wenn du die Augen offenhältst. Nun die letzte Frage.» Krabat besinnt sich. Es gäbe noch viel, was er wissen möchte... «Ich bin sehr allein», sagt er. «Seit du weg bist, habe ich keinen Freund mehr. Wem kann ich mich anvertrauen, was rätst du mir?»
123 Tonda blickt ihn nicht an, (не взглянул на него) auch jetzt nicht. «Geh heim», (ступай домой) sagt er, «und vertraue dem ersten besten, (поверь первому же, первому встречному) der dich beim Namen ruft: (кто назовет тебя по имени) auf ihn wird Verlass sein. (на него можно положиться: sich verlassen auf jmdn der Verlass) – Und noch eins, bevor ich gehe, ein Letztes! Dass du mein Grab besuchst, ist nicht wichtig. (неважно) Ich weiß, dass du an mich denkst (думаешь обо мне) – das ist wichtiger.» (важнее) Langsam hebt Tonda die Hand zum Gruße. (чтобы попрощаться) Dann löst er sich auf (растворяется) in den Nebeln (в туманах) – und ohne den Kopf zu wenden, (не повернувшись) entschwindet er. (исчезает) «Tonda!» ruft Krabat ihm nach. (ему вслед) «Geh nicht fort, Tonda! Geh nicht fort von mir!» Er schreit es aus tiefster Seele (со всей силы: «из глубины души») – und plötzlich hört er, wie jemand «Krabat!» ruft. – «Aufwachen, Krabat, aufwachen!» Michal und Juro standen an Krabats Pritsche, sie beugten sich über ihn. (склонились над ним) Krabat wusste nicht, ob er noch träumte (еще видел сон) oder schon wach war. «Wer hat mich gerufen?» fragte er. «Wir», sagte Juro. «Du hättest dich hören müssen, (слышал бы ты) wie du im Schlaf geschrien hast!» «Ich?» fragte Krabat. «Es war zum Erbarmen.» (жалкое зрелище) Michal fasste nach seiner Hand. (взял его за руку) «Hast du Fieber?»(у тебя температура) «Nein», sagte Krabat. «Ich hatte bloß (просто) – einen Traum...» Und dann fügte er hastig hinzu: (поспешно добавил) «Wer von euch hat meinen Namen zuerst (сначала, первым) gerufen? Sagt mir's, ich muss es wissen!» Michal und Juro erklärten sich überfragt, (не знали что и сказать: «вопрос был выше их») darauf hätten sie nicht geachtet. (не обратили внимания) «Aber ein nächstesmal», meinte Juro, «werden wir an den Knöpfen abzählen, (будем тянуть жребий: «считаться по пуговицам») wer dich wecken darf – damit's hinterher (чтобы потом) keinen Zweifel gibt.» Für Krabat stand fest, (было очевидным) dass es Michal gewesen sein musste, der ihn als erster gerufen hatte. Juro, gewiss, war ein braver Bursche, (был хорошим парнем) gutmütig durch und durch, (очень добрым) aber eben ein Dummkopf. (но глуповатым) Tonda konnte nur Michal gemeint haben, (иметь в виду) als sie im Traum miteinander gesprochen hatten. Von nun an (с этих пор) wandte sich Krabat an ihn, (обращался к нему) wann immer er Rat oder Antwort auf eine Frage brauchte. Michal enttäuschte ihn nie, (никогда не разочаровывал его) bereitwillig (охотно) gab er ihm Auskunft (объяснял, «давал справку») in allen Dingen.
123 Tonda blickt ihn nicht an, auch jetzt nicht. «Geh heim», sagt er, «und vertraue dem ersten besten, der dich beim Namen ruft: auf ihn wird Verlass sein. – Und noch eins, bevor ich gehe, ein Letztes! Dass du mein Grab besuchst, ist nicht wichtig. Ich weiß, dass du an mich denkst – das ist wichtiger.» Langsam hebt Tonda die Hand zum Gruße. Dann löst er sich auf in den Nebeln – und ohne den Kopf zu wenden, entschwindet er. «Tonda!» ruft Krabat ihm nach. «Geh nicht fort, Tonda! Geh nicht fort von mir!» Er schreit es aus tiefster Seele – und plötzlich hört er, wie jemand «Krabat!» ruft. – «Aufwachen, Krabat, aufwachen!» Michal und Juro standen an Krabats Pritsche, sie beugten sich über ihn. Krabat wusste nicht, ob er noch träumte oder schon wach war. «Wer hat mich gerufen?» fragte er. «Wir», sagte Juro. «Du hättest dich hören müssen, wie du im Schlaf geschrien hast!» «Ich?» fragte Krabat. «Es war zum Erbarmen.» Michal fasste nach seiner Hand. «Hast du Fieber?» «Nein», sagte Krabat. «Ich hatte bloß – einen Traum...» Und dann fügte er hastig hinzu: «Wer von euch hat meinen Namen zuerst gerufen? Sagt mir's, ich muss es wissen!» Michal und Juro erklärten sich überfragt, darauf hätten sie nicht geachtet. «Aber ein nächstesmal», meinte Juro, «werden wir an den Knöpfen abzählen, wer dich wecken darf – damit's hinterher keinen Zweifel gibt.» Für Krabat stand fest, dass es Michal gewesen sein musste, der ihn als erster gerufen hatte. Juro, gewiss, war ein braver Bursche, gutmütig durch und durch, aber eben ein Dummkopf. Tonda konnte nur Michal gemeint haben, als sie im Traum miteinander gesprochen hatten. Von nun an wandte sich Krabat an ihn, wann immer er Rat oder Antwort auf eine Frage brauchte. Michal enttäuschte ihn nie, bereitwillig gab er ihm Auskunft in allen Dingen.
124 Nur einmal, als Krabat die Rede auf Tonda brachte, (завел разговор о) wies er ihn ab. (осадил его) «Die Toten sind tot», sagte Michal. «Sie werden nicht wieder lebendig, wenn man von ihnen spricht.» Michal war Tonda in manchem ähnlich. (в чем-то похожи) Krabat vermutete, (предполагал) dass er dem neuen Lehrjungen heimlich (тайно) Beistand leistete, (поддерживал) da er ihn hin und wieder (иногда) bei Witko stehen und mit ihm sprechen sah – so wie Tonda vergangenen Winter zuweilen (иногда) mit Krabat gesprochen und ihm geholfen hatte. Auch Juro nahm sich auf seine Weise des Neuen an, (взялся по своему за новичка) indem er ihn ständig (постоянно) zum Essen nötigte. (заставлял) «Iss du nur, Jungchen, iss du nur, was du runterkriegst, (сколько можешь проглотить) dass du groß und stark wirst und Speck auf die Rippen bekommst!» (чтобы та поправился: «чтобы на ребрах появился жир») In der Woche nach Lichtmess (после Сретения) begannen sie mit der Waldarbeit. (работать в лесу) Sechs Burschen, darunter Krabat, sollten die Stämme, (стволы) die sie im Vorjahr (в прошлом году) geschlagen (срубили) und draußen gelagert hatten, (и сложили, складировали снаружи, там) zur Mühle schaffen. (принести к мельнице) Das war bei dem hohen Schnee keine leichte Sache. Um sich zum Holzplatz durchzuschaufeln, (пробраться до деревьев, расчищая дорогу: «места повала»: die Schaufel – /совковая/ лопата) brauchten sie eine volle Woche – und dies, obgleich Michal und Merten dabei waren, die sich gewaltig ins Zeug legten. (которые усердно брались за дело) Andrusch zeigte für solchen Eifer wenig Verständnis. (не понимал такого усердия: «показывал мало понимания») Er tat nur gerade das Allernötigste, (только самую малость, самое необходимое) um sich warmzuhalten. (чтобы не замерзнуть: «оставаться теплым») «Wer bei der Arbeit friert, (мерзнет) ist ein Esel», (осел) erklärte er, «und wer schwitzt (кто потеет) – ein Hornochse.» (настоящий осел, дурак: «рогатый вол»)
124 Nur einmal, als Krabat die Rede auf Tonda brachte, wies er ihn ab. «Die Toten sind tot», sagte Michal. «Sie werden nicht wieder lebendig, wenn man von ihnen spricht.» Michal war Tonda in manchem ähnlich. Krabat vermutete, dass er dem neuen Lehrjungen heimlich Beistand leistete, da er ihn hin und wieder bei Witko stehen und mit ihm sprechen sah – so wie Tonda vergangenen Winter zuweilen mit Krabat gesprochen und ihm geholfen hatte. Auch Juro nahm sich auf seine Weise des Neuen an, indem er ihn ständig zum Essen nötigte. «Iss du nur, Jungchen, iss du nur, was du runterkriegst, dass du groß und stark wirst und Speck auf die Rippen bekommst!» In der Woche nach Lichtmess begannen sie mit der Waldarbeit. Sechs Burschen, darunter Krabat, sollten die Stämme, die sie im Vorjahr geschlagen und draußen gelagert hatten, zur Mühle schaffen. Das war bei dem hohen Schnee keine leichte Sache. Um sich zum Holzplatz durchzuschaufeln, brauchten sie eine volle Woche – und dies, obgleich Michal und Merten dabei waren, die sich gewaltig ins Zeug legten. Andrusch zeigte für solchen Eifer wenig Verständnis. Er tat nur gerade das Allernötigste, um sich warmzuhalten. «Wer bei der Arbeit friert, ist ein Esel», erklärte er, «und wer schwitzt – ein Hornochse.»
125 Um die Mittagszeit war es an diesen Februartagen so warm, dass die Burschen sich nasse Füße holten (у парней промокали ноги) im Wald. Wenn sie abends nach Hause kamen, mussten sie reichlich Talg auf die Stiefel schmieren, (обильно смазывать сапоги жиром) der wurde dann mit den Handballen eingewalkt, (потом втирать его) um das Leder geschmeidig zu halten, (чтобы кожа оставалась гладкой) sonst (иначе) wäre es über Nacht, (за ночь) wenn die Stiefel zum Trocknen (для того чтобы просохнуть) über dem Ofen hingen, steinhart geworden (твердые, как камень). Alle verrichteten (совершали, выполняли) diese lästige (скучную, обременительную) Arbeit selbst – bis auf Lyschko, (все, кроме Лышко) der sich an Witko hielt (который держался за Витко) und ihn zwang, (заставлял, принуждал: zwingen) sie ihm abzunehmen. (взять на себя) Als Michal das merkte, stellte er Lyschko in Gegenwart (в присутствии) aller Burschen dafür zur Rede. (заставил ответить за это, призвал к ответу) Auf Lyschko machte das wenig Eindruck. (не произвело впечатления) «Was ist schon dabei?» (ну и что такого) erklärte er leichthin. (вскользь) «Die Stiefel sind nass gewesen – und Lehrjungen sind dazu da, (здесь как раз для этого) dass sie arbeiten.» «Nicht für dich!» sagte Michal. «Ach was!» (ну и что, да брось) widersprach ihm (возразил ему) Lyschko. «Du steckst deine Nase in Dinge, (суешь нос в вещи) die dich nichts angehen. (которые тебя не касаются) Bist du hier etwa der Altgesell?» (ты кто тут, старший подмастерье) «Nein», musste Michal einräumen. (должен был согласиться) «Aber ich schätze, (думаю: «оцениваю») dass Hanzo es mir nicht übelnimmt, (не обидится на меня) wenn ich dir trotzdem (все равно, все же) sage, dass du dir deine Stiefel in Zukunft selber walken sollst, Lyschko. Sonst (иначе) könnte es sein, dass du Ärger bekommst (будут неприятности) – und kein Mensch soll mir nachsagen dürfen (никто не сможет мне сказать, меня обвинить), ich hätte dich nicht gewarnt.» (что я тебя не предупреждал) Wer bald darauf (вскоре после этого) Ärger bekam, war nicht Lyschko. Am Abend des nächsten Freitages, als die Burschen in Rabengestalt in der Schwarzen Kammer hockten, eröffnete (открыл, сообщил) ihnen der Meister, es sei ihm zu Ohren gekommen, (что до него дошло, что он слышал) dass einer von ihnen dem neuen Lehrjungen heimlich zur Hand gehe (помогает) und ihm verbotenerweise (зная, что это запрещено) die Arbeit erleichtere: (облегчает) das verdiene, (это заслуживает) bestraft zu werden. (наказания: «быть наказанным») Dann wandte er sich an (повернулся к) Michal. «Wie kommst du dazu, (как это ты) dem Jungen zu helfen – antworte!» «Weil er mir Leid tut, Meister. Die Arbeit, die du ihm zumutest, (которую ты ожидаешь от него) ist zu schwer für ihn.» «Findest du?» «Ja», sagte Michal. «Dann höre mir jetzt gut zu!» (тогда слушай меня внимательно)
125 Um die Mittagszeit war es an diesen Februartagen so warm, dass die Burschen sich nasse Füße holten im Wald. Wenn sie abends nach Hause kamen, mussten sie reichlich Talg auf die Stiefel schmieren, der wurde dann mit den Handballen eingewalkt, um das Leder geschmeidig zu halten, sonst wäre es über Nacht, wenn die Stiefel zum Trocknen über dem Ofen hingen, steinhart geworden. Alle verrichteten diese lästige Arbeit selbst – bis auf Lyschko, der sich an Witko hielt und ihn zwang, sie ihm abzunehmen. Als Michal das merkte, stellte er Lyschko in Gegenwart aller Burschen dafür zur Rede. Auf Lyschko machte das wenig Eindruck. «Was ist schon dabei?» erklärte er leichthin. «Die Stiefel sind nass gewesen – und Lehrjungen sind dazu da, dass sie arbeiten.» «Nicht für dich!» sagte Michal. «Ach was!» widersprach ihm Lyschko. «Du steckst deine Nase in Dinge, die dich nichts angehen. Bist du hier etwa der Altgesell?» «Nein», musste Michal einräumen. «Aber ich schätze, dass Hanzo es mir nicht übelnimmt, wenn ich dir trotzdem sage, dass du dir deine Stiefel in Zukunft selber walken sollst, Lyschko. Sonst könnte es sein, dass du Ärger bekommst – und kein Mensch soll mir nachsagen dürfen, ich hätte dich nicht gewarnt.» Wer bald darauf Ärger bekam, war nicht Lyschko. Am Abend des nächsten Freitages, als die Burschen in Rabengestalt in der Schwarzen Kammer hockten, eröffnete ihnen der Meister, es sei ihm zu Ohren gekommen, dass einer von ihnen dem neuen Lehrjungen heimlich zur Hand gehe und ihm verbotenerweise die Arbeit erleichtere: das verdiene, bestraft zu werden. Dann wandte er sich an Michal. «Wie kommst du dazu, dem Jungen zu helfen – antworte!» «Weil er mir Leid tut, Meister. Die Arbeit, die du ihm zumutest, ist zu schwer für ihn.» «Findest du?» «Ja», sagte Michal. «Dann höre mir jetzt gut zu!»
126 Der Müller war aufgesprungen, (вскочил) er stützte sich (оперся) mit den Händen auf den Koraktor, den Oberkörper weit vorgebeugt. (склонившись /верхней частью тела/) «Was ich wem zumute oder nicht, geht dich einen Dreck an! (тебя вообще не касается: der Dreck – грязь, нечистоты) Hast du vergessen, dass ich der Meister bin? Was ich anschaffe, (что я делаю, приказываю) schaffe ich an, damit basta! Ich werde dir eine Lektion erteilen, (я научу тебя, преподам тебе урок) an die du dein Lebtag (всю жизнь, до конца жизни) denken sollst! – Raus da, (вон отсюда) ihr andern!» (остальные) Er jagte (выгнал) die Mühlknappen aus der Kammer und schloss sich mit Michal ein. (закрылся с) Die Burschen trollten sich (убрались) voller Sorge (обеспокоенные, озабоченные) zu Bett. Sie hörten die halbe Nacht lang ein gräßliches Kreischen (ужасные крики) und Krächzen (и карканье) im Haus – dann kam Michal die Bodenstiege heraufgewankt, (поднялся по лестнице шатаясь) bleich und verstört. (бледный и испуганный) «Was hat er mit dir gemacht?» wollte Merten wissen. Erschöpft (обессиленно) winkte Michal ab. (махнул рукой) «Lasst mich, ich bitte euch!» Die Burschen konnten sich denken, (представить себе) wer Michal dem Meister verraten hatte. (выдал Мастеру) Anderntags hielten sie in der Mehlkammer eine Beratung ab (провели совет) und beschlossen, es Lyschko heimzuzahlen. (отплатить Лышко) «Wir werden ihn», sagte Andrusch, «heut Nacht von der Pritsche holen und ihm das Fell gerben!» (и отдубасим его: das Fell gerben – дубить шкуру) «Jeder mit einem Knüttel!» (дубинкой: der Knüttel) rief Merten. «Und hinterher», knurrte Hanzo, «bekommt er die Haare geschoren (подстрижем ему волосы) und Stiefelfett ins Gesicht geschmiert (и намажем лицо жиром для обуви) – und dann Ruß drüber!» (а сверху – сажей) Michal saß in der Ecke und schwieg. «Sag du auch was!» rief Staschko. «Schließlich bist du es, den er beim Meister vergeigt hat!» (кого он заложил Мастеру) «Gut», meinte Michal, «ich werde euch etwas sagen.» Er wartete, bis sie still waren, dann begann er zu sprechen. Mit ruhiger Stimme (спокойным голосом) sprach er, wie Tonda an seiner Stelle (на его месте) gesprochen hätte. «Was Lyschko getan hat», sagte er, «war eine Lumperei. (подлость: der Lump – негодяй) Aber was ihr da vorhabt, (намереваетесь сделать) ist nicht viel besser. Im Zorn (в гневе) legt man seine Worte nicht auf die Goldwaage (не взвешиваешь слова: «не кладешь их на золотые весы») – gut. Doch nun habt ihr euch Luft gemacht, (но теперь вы открыли себе отдушину = отвели душу) nun soll Schluss (конец) sein. Erspart es mir, (не заставляйте меня, не допускайте) dass ich mich für euch schämen muss!»
126 Der Müller war aufgesprungen, er stützte sich mit den Händen auf den Koraktor, den Oberkörper weit vorgebeugt. «Was ich wem zumute oder nicht, geht dich einen Dreck an! Hast du vergessen, dass ich der Meister bin? Was ich anschaffe, schaffe ich an, damit basta! Ich werde dir eine Lektion erteilen, an die du dein Lebtag denken sollst! – Raus da, ihr andern!» Er jagte die Mühlknappen aus der Kammer und schloss sich mit Michal ein. Die Burschen trollten sich voller Sorge zu Bett. Sie hörten die halbe Nacht lang ein gräßliches Kreischen und Krächzen im Haus – dann kam Michal die Bodenstiege heraufgewankt, bleich und verstört. «Was hat er mit dir gemacht?» wollte Merten wissen. Erschöpft winkte Michal ab. «Lasst mich, ich bitte euch!» Die Burschen konnten sich denken, wer Michal dem Meister verraten hatte. Anderntags hielten sie in der Mehlkammer eine Beratung ab und beschlossen, es Lyschko heimzuzahlen. «Wir werden ihn», sagte Andrusch, «heut Nacht von der Pritsche holen und ihm das Fell gerben!» «Jeder mit einem Knüttel!» rief Merten. «Und hinterher», knurrte Hanzo, «bekommt er die Haare geschoren und Stiefelfett ins Gesicht geschmiert – und dann Ruß drüber!» Michal saß in der Ecke und schwieg. «Sag du auch was!» rief Staschko. «Schließlich bist du es, den er beim Meister vergeigt hat!» «Gut», meinte Michal, «ich werde euch etwas sagen.» Er wartete, bis sie still waren, dann begann er zu sprechen. Mit ruhiger Stimme sprach er, wie Tonda an seiner Stelle gesprochen hätte. «Was Lyschko getan hat», sagte er, «war eine Lumperei. Aber was ihr da vorhabt, ist nicht viel besser. Im Zorn legt man seine Worte nicht auf die Goldwaage – gut. Doch nun habt ihr euch Luft gemacht, nun soll Schluss sein. Erspart es mir, dass ich mich für euch schämen muss!»
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